• Anekdoteles@feddit.de
    link
    fedilink
    arrow-up
    1
    ·
    1 year ago

    Ich sehe das aus der anderen Richtung. Ein Vebarrikadieren liegt nicht am Einfamilienhaus mit Garten. Es ist der mangle de Wille oder die Fähigkeit sich Vorort an einer Gesellschaft zu Beteiligen.

    Die Fähigkeit sich in eine Umgebung einzufügen ist kein einseitiges Attribut, sondern hängt auch entscheidend von der Umgebung ab. Eine autozentrierte Umgebung ist eine antisoziale Umgebung und daran passen sich die Menschen an.

    (Unabhängig von Stadt, Land oder Speckgürtel.) Je nach Lebensabschnitt haben beide Anteile ihre Vorteile und Berechtigung.

    Ja, Kinder bis 6 Jahre mögen von der Natur profitieren, das ist irgendwo plausibel, aber Evidenz habe ich dafür nicht. Egal, ob das so ist oder nicht, danach übernehmen jedenfalls die negativen Effekte der sozialen und kulturellen Isolation, die von Kindern bewusst erlebt werden, die von der ihren Eltern von der Stadt aufs Land gezogen werden[1]. Spätestens ab der Pubertät wirkt sich dann auch die Abhängigkeit von elterlichen Chauffeurdiensten extrem negativ auf die Entwicklung aus, weil für die jugendliche Entwicklung Autonomieerfahrungen entscheidend sind[2]. Im hohen Alter kommt die intellektuelle Unterstimulation des Landlebens dann noch mit dem Preis eines erhöhten Risikos für geistige Degeneration, wobei der Schaden wohl bereits im Kindes- und Familienalter angerichtet wird[3]. Der Effekt ist besonders stark für Menschen mit niedriger Bildung und wo leben die? Richtig, auf dem Land, aber nicht nur weil sie auf das Land ziehen, sondern weil Zersiedelung einen direkten, signifikante Einfluss auf den Bildungserfolg hat[4].

    Noch schlimmer wird es, wenn man nicht aufs Land zieht, sondern dort bleibt, denn das lässt einen noch krasser zurückbleiben. Das ist kein kausaler Zusammenhang, aber wenn du auf dem Land bleibst, statt dorthin zu ziehen, ist die Wahrscheinlichkeit erheblich größer in einer schrumpfenden Region zu leben und deren Bewohner haben intellektuell besonders hohe Kosten fürs Landleben zu schultern[5]. Das ist natürlich auch deswegen doof, weil Menschen, die auf dem Land leben sich besonders stark mit dem Land identifzieren und deswegen kleben bleiben[6].

    Um also zurück auf deine These zu kommen: Die Evidenz zeigt in die andere Richtung, nämlich dahin, dass egal in welcher Lebensphase du dich befindest, es langfristig die bessere Entscheidung ist, in der Stadt zu leben. Wenn du dann noch bedenkst, dass Städte auf die Bedürfnisse des Umlands ausgerichtet sind, statt auf die der eigenen Bewohner und sich die Ergebnisse der Forschung sich daher auf suboptimalen Städten beziehen, wird klar, dass durch Aufwertung der Städte, dieser Effekt noch erheblich verstärkt werden kann. Urbanität ist Ländlichkeit inhärent überlegen.


    1. https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/0907568214566822 ↩︎

    2. https://spssi.onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/j.1540-4560.1991.tb01834.x ↩︎

    3. https://www.eurekaselect.com/article/66150 ↩︎

    4. https://academic.oup.com/joeg/article/21/5/683/5998980 ↩︎

    5. https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/jrh.12650 ↩︎

    6. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0743016721000036#sec5 ↩︎

    • ToE@feddit.de
      link
      fedilink
      arrow-up
      1
      ·
      1 year ago

      Ich sehe das in (fast) allen Punkten ähnlich. Als besonders wichtig en Aspekt sehe ich die Auswirkungen der geringeren Möglichkeiten mit zunehmenden Alter nach den erdten ca. 8 Lebensjahren auf die persönliche (autonome) Entwicklung.

      Gleichgültig welchen Ort man sich selbst entscheidet, hat man die Fähigkeit und den Willen mitzubringen sich auf die örtlichen Gegebenheiten einzulassen, diese zu akzeptieren, sich dort aktiv zu beteiligen und diese damit auch dort zu gestalten. Die Offenheit der Umgebung hierfür sehe ich überall gegeben. Bei der Integration ist man von der Anzahl der alltäglichen Kontaktsituationen abhängig. Das gilt für ein Leben in einem anonymen und privilegierten Bereich des sehr stadtnahen Speckgürtels, einer einsamen Hütte im Wald, in einem offenerem Teil des Speckgürtels, in einer Dorfgemeinschaft, die Community einer Mehrfamilienwohnanlage oder einer anonymen Wohnung in einem großen Haus/Wohnanlage. (Mit Ausnahme der Hütte im Wald durfte ich persönlich, in allen erwähnten Bereichen mehrjährige Wohnerfahrung am Stück erleben.)

      Selbstbestimmung und Vielfalt ist nach meinen Werten ein sehr hohes Gut. Ein Mensch, der sich alleine in einer Hütte wohl fühlt, sich selbst dafür entschieden hat und auch selbst dafür die Konsequenzen trägt, sollt das tun können und dürfen. Eine Gesellschaft/Land und dessen Regierung sollte das tolerieren und akzeptieren. Es stellt sich nicht die Frage nach einem besseren oder schlechterem System, denn das Maß hierfür ist ein individuelles.

      Es stimmt. Eine autozentrierte Umgebung ist eine assoziale Umgebung. Insbesondere, wenn diese aus dem Bedürfnis resultiert seinen persönlichen Privatbereich zu erweitern. Je weiter man sich jedoch auf’s Land begibt, verändern sich die Bedürfnisse aus denen die Entscheidung für ein Kfz basiert.

      Eine Aufwertung der Städte kann sicher helfen noch mehr Kfz-Verkehr zu vermeiden. Auch mit dem Effekt mehr Menschen aus dem Land in diesen Bereich zu bringen. Ich sehe das in erster Linie als Aufgabe der Stadt, dies über Attraktivität selbst zu tun. Ebenfalls ist es Aufgabe der Kommunen/Landkreise am Land sich um ihre entsprechende Attraktivität zu kümmern. Den Städten dürften hierfür aktuell auch mehr Ressourcen zu Verfügung stehen.

      • Anekdoteles@feddit.de
        link
        fedilink
        arrow-up
        1
        ·
        1 year ago

        Ich stimme dir in vielen Punkten zu, aber in einem ganz wesentlichen, muss ich einfach scharf widersprechen:

        Eine Gesellschaft/Land und dessen Regierung sollte das tolerieren und akzeptieren.

        Landleben ist genau wie Autofahren autoritär, weil es den Unbeteiligten die Kosten aufbürdet. Beides hat in einer liberalen Gesellschaft keinen Platz und es ist daher sicher auch kein Zufall, dass beide Phänomene eng mit autoritären Politikvorstellungen verknüpft sind.

        • ToE@feddit.de
          link
          fedilink
          arrow-up
          1
          ·
          1 year ago

          Ich vermute zwar ein Vorurteil oder unterschiedliche Auslegungen des Begriffs “Landleben”. Denn eine liberale Gesellschaft gibt jedem soviel Freiheit, bis dieser dem anderen Einschränkungen zumutet. Bezogen auf Berufsverkehr und der Zumutung der notwendigen Verkehrsinfrastruktur, ist es für eine Bauern völlig unsinnig in der Stadt zu leben, als auch für einen Verkäufer einer Innenstadtfiliale auf dem Land zu leben. Es kommt auf den bewerteten Zusammenhang und konkrete Zielsetzung an. Gerade diese Zielsetzung bildet sich in einem liberalen System mit zugehöriger Gesellschaft aus der vorhandenen Vielfalt, den Detailerfahrungen und stetigem Wandel.

          Ich denke unsere Positionen sind klar. Eine Abweichung voneinander sehe ich hauptsächlich darin, dass ich “Landleben” und Leben in der Stadt nicht zwingend auf Kosten des jeweiligen anderen umgesetzt sehe. Sobald jedoch allgemeine Subvention oder allg. gültige Verbote ohne direkten Bezug auf das konkrete Problem etabliert werden, werden die Unterschiedlichen Bedingungen auch Ungleiche Auswirkungen bewirken. Das gilt für die Subventionen zum Aufbau von Infrastruktur Straßen für Kfz, wie auch der Subvention in ÖPVN mit unterschiedlicher Leistung.