An einem Abend im Herbst kam meine damalige Freundin, mit der ich mir eine kleine Wohnung mit Gartennutzung teilte, zu mir und bat mich, mit ihr nach Thüringen zu fahren, wo sie einen Hund kaufen würde.
Ich vertraute ihr blind; was immer sie tat, tat sie überlegt und sorgfältig. Das, verbunden mit dem Welpenbild, das sie mir zeigte, machte mir die Entscheidung leicht. Klar, sag ich, und am nächsten Morgen sitzen wir im Auto, sechs Stunden Autobahn vor uns, um Maja abzuholen.
Maja, ihre beiden Geschwister und ihre Eltern begrüßen uns freudig am Tor, das sympathische Frauchen kommt direkt dazu und eine halbe Stunde später sitzen wir wieder im Auto, Maja auf einer kleinen Decke, eingerollt und ängstlich fiepend, weil sie ihr Rudel vermisst.
Die nächsten Wochen (und eigentlich Jahre) ist sie Mittelpunkt unseres Lebens und wir tun alles, um ihr ein neues Rudel zu geben. Wir habens nicht weit zum Wald, gehen zwei Touren am Tag, und anfangs ist sie noch ängstlich und bleibt bei uns, aber bald schon wird Winter zu Frühling und sie wird selbstbewusst genug, dass sie eine Leine braucht. Einmal entwischt sie uns, sieht irgendwo ein Reh, und zischt ab. Tief in einem Wald in der Eifel, an einem viel zu heißen und trockenem Frühlingstag, und wir suchen und rufen eine gefühlte Ewigkeit, bis sie zurück kommt und sich völlig erschöpft neben uns auf dem Waldweg auf den Boden wirft. Sie trinkt ihren Wanderwassernapf zweimal leer, SCHLOPP-SCHLOPP-SCHLOPP, das beste Geräusch das ich kenne.
Nach den Wanderungen liege ich immer mit meinem Laptop auf dem Sofa und arbeite, Maja in der Kuhle zwischen meinen Beinen, kaut genüsslich an einem Schweineohr oder schläft, ihre Schnauze auf meinem Bein, und ich weiß, dass ich alles für sie tun würde.
Unsere Wohnung lag direkt neben meiner Arbeit, und zur jeder Mittagspause um zwölf, wenn die Glocken läuteten, lief ich rüber, um eine Runde mit ihr zu gehen. Manchmal war ich etwas zu früh dran, dann konnte ich sehen, wie pünktlich zum zweiten Glockenschlag ihr herrliches Gesicht am Fenster auftauchte, damit sie Ausschau nach mir halten konnte, und immer machte mein Herz einen Satz und immer musste ich mich beherrschen, nicht loszurennen um schneller bei ihr zu sein.
Am Wochenende ist die Freundin dann meist bei ihren Eltern, für die Maja quasi das erste “Enkel” ist, und auch sie lieben und verwöhnen sie. Irgendwann kommen echte Enkel dazu und Maja findet in den Nichten und Neffen meiner Freundin neue Spielgefährten.
Irgendwann kriselt es zwischen meiner Freundin und mir, ich ziehe an die Ahr, meine Freundin zu ihren Eltern, eine knappe Stunde entfernt von mir, und wir sehen uns fast nur noch am Wochenende, und immer wenn ich freitags komme, eskaliert Maja völlig, schießt wie eine Rakete von Raum zu Raum, oder übern Hof, und immer wieder zu mir, holt mir ein Leckerli oder einen Ball den ich werfen soll, und weicht für den Rest des Wochenendes nicht mehr von meiner Seite. Wenn ich dann gehe, am Sonntagabend, zeigt sie mir die kalte Schulter, und ich küsse ihr auf die Stirn und verspreche, dass ich bald wiederkomme.
Sogar während meiner Nahtoderfahrung denke ich fast nur an sie. Einmal noch mit Maja ans Meer, wünsche ich mir nur, während um mich herum die Welt untergeht. Einmal noch mit Maja in den Wald. Bitte. “Küss Maja auf die Stirn von mir”, schreib ich meiner Freundin, bevor ich das Wasser sich mein Handy holt, aber die Nachricht geht nicht raus, und zwölf Stunden später hänge ich am Seil des Rettungshubschraubers und mir wird klar, dass mein Wunsch in Erfüllung geht. Nur zwei Wochen später sind wir in der Bretagne am Strand, und Maja schießt über den Sand und jagt ihren Ball, zeigt uns ganz aufgeregt eine Krabbe, vergisst immer wieder, dass das Wasser salzig ist und ich bin unendlich dankbar für jeden Tag und jeden Moment.
Dann ziehe ich zu den beiden, meine Wohnung ist ja weg, und wir haben noch ein gutes Jahr zusammen, viele Ausflüge zu dritt, viel SCHLOPP-SCHLOPP-SCHLOPP an Sommertagen im Wald, aber ich merke immer mehr, dass meine Freundin eigene Kinder will, dass Maja und die Neffen und die Nichten die Lücke nicht mehr füllen können, und so trennen wir uns, und ziehe ich weiter gen Norden.
Noch immer hat Maja ihr riesiges Rudel. Die große Familie meiner Ex, haufenweise Kinder jeden Alters, ihre Eltern und Geschwister, deren Partner, deren Kinder und Hunde und bald auch eine eigenes Baby; ich bin sicher Maja wird gut darauf aufpassen.
Und wenn es mir schlecht geht, und ich traurig bin und sie vermisse, und wenn ich mir wünsche sie würd wieder in der Kuhle zwischen meinen Beinen schlafen, dann finde ich Trost darin, wie gut es ihr geht, auch ohne mich.
Sehr schön geschrieben, danke fürs teilen. Hunde sind das Allerbeste.