Tl;dr: Hier mal ein Beispiel, wie aktiv Stimmung gegen die Bundeswehr und das Beschaffungsamt gemacht wird

Einige haben es vielleicht schon an meinem Namen erraten: Ich habe in der Beschaffung für die Bundeswehr zu tun.

Deshalb betrifft mich die “Zeitenwende” persönlich ein wenig und ich weiß einigermaßen gut Bescheid, was so alles passiert. Mein Fazit ist da: Es passiert verdammt viel, es wird hervorragende Arbeit geleistet und auch unter Christine Lambrecht lief es schon wirklich gut. Wenn etwas länger dauert, dann aus den gleichen Gründen wie bei allen anderen Armeen auch: Militärische Beschaffung ist echt kompliziert. Naja, außer man verstaatlicht seine ganzen Rüstungsbetriebe und hat eine extrem korrupte Regierung, so wie Polen. Dann geht einiges schneller, aber nicht besser.

Aber wenn man mal so die Schlagzeilen liest, dann klingt das gar nicht so. Alles dauert immer länger, wird immer teurer, das Beschaffungsamt ist eh viel zu groß und gehört verkleinert bla bla. Und natürlich ist das nur bei der Bundeswehr so, bei niemandem sonst.

Ein Freund von mir hat mich da auf ein gutes Beispiel aufmerksam gemacht, dass ich euch gerne präsentieren würde:

Die Schlageile von Golem.de:

Das für die Bundeswehr neu bestellte Funkgerät PNR-1000 bringt wohl nur 1 MBit/s.

Da sagt die Überschrift ja gleich alles aus: Das neue Funkgerät: “Schlecht”. “Nur 1MBit/s”.

Und weil ja niemand wirklich weiß, ob das jetzt irgendwie schnell oder langsam ist, wird im Artikel ein Vergleich gebracht:

Die U.S. Army hatte im Jahr 2021 L3Harris mit der Herstellung und Lieferung von 1.000 neuen taktischen Funkgeräten des Typs Falcon IV AN/PRC-171 Compact Team Radio beauftragt. Die Datenübertragungsrate beträgt bis zu 16 MBit/s.

16MBit/s kriegt die US Army! Aber die inkompetente Bundeswehr kriegt von ihrem inkompetenten Beschaffungsamt 16 mal langsamere Funkgeräte!

Was der Artikel überhaupt nicht erwähnt ist, dass diese Funkgeräte beide völlig unterschiedliche Einsatzzwecke haben. Das hätte bei der niedrigen Stückzahl von 1.000 Funkgeräten für die US Army auffallen können.

Das AN/PRC-171 ist nämlich ein Satellitenfunkgerät, ganzes Stück größer und wird eher so für Kommandoposten oder große Reichweiten benutzt. Die Funkgeräte PNR-1000 für die Bundeswehr sollen aber von den einzelnen Soldat*Innen im Gefecht zur Kommunikation benutzt werden. Da werden keine hochsensiblen, riesigen Datensätze verschickt und das alles findet in einem relativ kleinen Bereich statt.

Deshalb nutzt und kauft die Bundeswehr das AN/PRC-171 schon seit Jahren und hat eben wieder 900 Stück neu gekauft.

Bundestag billigt Haushaltsmittel für zusätzliche PRC-117-Funkgeräte

Am Mittwoch, den 28. Oktober, hat der Deutsche Bundestag die 25-Millionen-Euro-Vorlage „Ergänzungsbeschaffung von Funkgeräten PRC-117G einschließlich Equipment“ gebilligt. Insgesamt sollen für ca. 91 Millionen Euro über 900 Funkgeräte samt Equipment beschafft werden.

Das PNR-1000, von denen die Bundeswehr 15.227 Stück erhalten wird, wird übrigens auch gerade von den Niederlanden, Schweden, Spanien und der Schweiz eingeführt.

Bei denen schreibt aber keiner Artikel, dass die “nur” 1MBit/s liefern.

In Deutschland wird die Ausstattung der Bundeswehr konsequent klein geredet und lächerlich gemacht. Und obwohl es echte Probleme gibt, sind die keinesfalls einzigartig für die Bundeswehr - andere Armeen haben mit genau denselben Dingen zu kämpfen. Insgesamt ist die Bundeswehr praktisch so gut ausgestattet wie die französische oder britische Armee - und auch bei deren Beschaffungsämtern dauert es oft länger und wird teurer.

Deshalb: Bei der nächsten Schlagzeile, wie dysfunktional die Bundeswehr, das Beschaffungsamt und die Ausstattung ist, einfach ruhig bleiben und sich sagen: Jede Verzögerung oder Preissteigerung hat ihren guten Grund. Weil militärische Beschaffung leider echt kompliziert ist.

  • redballooon@lemm.ee
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    1 year ago

    Kannst du uns ein Beispiel nennen um “es ist kompliziert” zu illustrieren?

    Ist das was anderes als wenn die Post elektrische Kleinlaster erst einkaufen will und dann doch selbst baut, und das dann aufgibt?

    • SomeDude@feddit.deOP
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      1 year ago

      Okay, das wird jetzt leider ein ziemlich langer Kommentar. Tl;dr: Hauptsächlich Dummheit von Politikern und Gier von Unternehmen.

      Ist das was anderes als wenn die Post elektrische Kleinlaster erst einkaufen will und dann doch selbst baut, und das dann aufgibt?

      Das sogar ein ziemlich gutes Beispiel, nur dass die Bundeswehr meistens gar nicht selber bauen darf/soll und wenn, dann kriegt sie oft zu wenig Geld dafür.

      Die häufigsten “komplizierten” Sachen sind für jeden nachvollziehbar und verständlich: die Technik ist noch nicht weit genug. Manchmal muss ein notwendig, aber entsprechend festes Material halt erst entwickelt werden, oder die heutigen Sensoren sind noch nicht präzise genug und müssen genauer werden. Sowas braucht halt einfach Zeit und Geld um entwickelt zu werden. Das verzeiht jeder.

      Etwas mehr Unverständnis kriegt man dann bei der Bürokratie zu sehen: Alles wird auf Papier gemacht, muss haargenau geregelt sein, Anträge und Formulare für alles. Das ist aber auch sehr leicht nachzuvollziehen, wenn man sich da reinarbeitet: Deutschland ist Teilnehmer an ganz vielen Rüstungskontrollabkommen und -Gesetzen. Und da wird dann eigentlich immer alles in Ausfertigung auf Papier verlangt. Der Grund dafür ist leicht: Einen Aktenschrank tief im Keller von irgend ner Behörde kann man nicht so leicht hacken, stehlen, löschen oder manipulieren. Solange nicht alle Archive niedergebrannt werden, kann man jederzeit alles nachverfolgen.

      Anträge und Formulare sind dann da auch ein großer Teil davon, damit der Prozess und die Finanzierungen und Beteiligungen auch ordentlich dokumentiert werden. Und die ganzen Regelungen: Ja, das ist halt notwendig weil eine ganze Menge Gesetze eingehalten werden müssen (Umweltschutz ist da z.B. ein häufiges Thema), aber auch, weil private Rüstungsfirmen super schnell klagen wenn irgendwas nicht rechtlich einwandfrei ablief und sie die Chance sehen, dass sie ihre Produkte doch noch irgendwie in die Beschaffung reinzwingen können.

      Die allerdings wirklich größten und einflussreichsten Dinge, welche militärische Beschaffung kompliziert machen, sind: Menschliche Dummheit und Gier. Für die Dummheit sei hier Thomas de Maiziere genannt. Der hat in seiner unendlichen Weisheit 2011 verfügt, dass das Beschaffungsamt für die Bundeswehr erst Ersatzteile bestellen darf, wenn sie notwendig sind. Vorratslagerung wurde untersagt. Aber dann kamen natürlich 7 Jahre später lauter Artikel, dass die Bundeswehr keine Ersatzteile mehr hat und ewig warten müsse, dass deshalb ein Großteil des Geräts nicht einsatzbereit sei. Der de Maiziere hat noch so einen ähnlichen Blödsinn gemacht: Er hat der Bundeswehr befohlen, schweres Gerät (wie z.B. Panzer) mehrmals (also mit mehreren Crews) zu benutzen. Die Einheiten sollten die Fahrzeuge untereinander tauschen, so dass mit 70% des Equipment trotzdem die ganze Truppe Fahrzeuge hätte. Dass dann der Verschleiß explodiert, damit hätte ja keiner rechnen können. (An der Stelle merkt ihr vielleicht: Ich mag konservative Verteidigungsminsiter*Innen oft echt nicht. Die machen wirklich ständig so nen Scheiß, und man kann sie auch nicht umstimmen wenn die sich das einmal in den Kopf gesetzt haben. Man kann’s kaum glauben, aber in der Beziehung war die Flinten-Uschi gar nicht soooo schlecht.)

      So viel zur Dummheit. Kommen wir zu Gier: Meine beiden gern genannten Beispiele sind a) der Fallschirmspringerhelm und b) der Puma Schützenpanzer. Und keine Sorge, Dummheit von Verteidigungs-Politiker*Innen ist da auch wieder dabei,


      Ermstal der Helm: “Modernisierungsbremse Beschaffungsamt?” titelt da die DW, und zitiert die Wehrbeauftragte Eva Högl:

      Die Fallschirmjäger beispielsweise warteten seit zehn Jahren auf einen neuen Helm, sagte die “Anwältin” der Parlamentsarmee der “tageszeitung”. Es hake daran, dass der Helm, der in den USA im Gebrauch ist, “erst nochmal ganz umfänglich getestet wird, ob er auch auf die deutschen Köpfe passt und wirklich so schützt, wie man das nach deutschen Standards erwartet”, klagte Högl.

      Und Frau Högl sagt hier auch wieder das für mich wohl nervendste Wort: “Goldrandlösung” Ja also das kann ja nicht sein! Wenn andere NATO Partner den Helm benutzen, dann wird der doch auch für deutsche Fallschirmspringer in Ordnung sein?

      Well, no. Eben nicht. In Wirklichkeit hat der Hersteller einfach mal eben entschieden, ein Teil des Verschlusssystems der Helme nicht mehr aus Metall, sondern aus Kunststoff zu fertigen. Ist halt billiger und man macht so ja mehr Gewinn, nicht wahr? Kunststoff im Verschlusssystem mag ja vielleicht für die USA so in Ordnung sein, aber bei den Tests des Beschaffungsamtes zeigte sich: Die Kunststoffverschlüsse wurden bei niedrigen Temperaturen und starken Belastungen brüchig oder haben sich geöffnet. Das ist nicht akzeptabel für Fallschirmspringer*Innen, bei denen das häufig vorkommt - die knapp 4.400 der Bundeswehr machen 6-8 Sprünge pro Jahr, das sind 26.400 Stück. Wenn da nur jedes zehntausendste Riemenstück kaputt geht, hast du 2-3 Fälle - und evtl. Tote - pro Jahr.

      Da sollte jedes Beschaffungsamt die Bremse ziehen und sagen “Halt, die Sicherheit der Soldat*Innen geht vor”. Einen Verschluss selbst herstellen, das darf die Bundeswehr nicht, das würde ja die private Wirtschaft vernachlässigen. Also muss erstmal eine Ausschreibung für einen Kinnriemen-Verschluss gemacht werden und mit dem Gewinner dann das Teil produziert und getestet werden. Und das dauert.


      Das zweite: Der Schützenpanzer Puma. Der Pannenpanzer. Gibt viel zu oft Probleme damit, obwohl der bereits seit 10 Jahren in der Truppe ist. Das kann doch nicht sein, der muss von Tag 1 an richtig funktionieren!

      …ja, sollte er eigentlich. Aber nicht wenn sich ein konservativer Verteidigungsminister in den Kopf setzt, das Ding zu bestellen bevor es überhaupt nen funktionierenden Prototypen davon gibt. So geschehen 2009. Das Fahrzeug wurde in die Truppe eingeführt, als es eigentlich erst im Prototyp-Status war, und musste dann praktisch während der Truppennutzung weiterentwickelt werden, auf den Stand, des es eigentlich haben sollte bei Auslieferung. Und sowas kann gerne mal 10 Jahre dauern - Der Leopard 2 hat 6 Jahre vom Prototyp zur ersten Serie gebraucht.

      An der Stelle könnte man ja fragen, wie es KMW und Rheinmetall geschafft haben, den Verteidigungsminister sowie den größten der Teil damaligen BuReg zu überzeugen, dass der Puma super toll ist und angeschafft worden sollte, sodass es dann ne Mehrheit im Parlament dafür gab. Ich hab ja die Vermutung, dass das so ähnlich ablief wie beim (im Artikel erwähnten) HS-30…

      Dann kam noch dazu, dass KMW und Rheinmetall echt, echt fleißig daran gearbeitet haben, vertraglich vereinbarte Sachen nicht einzubauen. Die CO Detektoren zum Beispiel, die verhindern sollen, dass die Soldat*Innen beim Aussteigen aus dem Fahrzeug eine verminderte Kampf- und Denkfähigkeit haben. Und manchmal haben sie dann auch einfach glatt gelogen, um ihre Gier und Inkompetenz zu vertuschen: Die Arbeitsstättenverordnung der SPD-Arbeitsministerin Andreas Nahles sei zu kompliziert und würde verlangen, dass der Puma für Schwangere geeignet sei. Das hätte halt für Verzögerungen gesorgt. Dass Panzer keine Arbeitsstätten nach der Arbeitsstättenverordnung und Schützenpanzer nicht für Beförderungen von Schwangeren ausgelegt sind, hat leider die meisten Journalisten nicht mehr interessiert als sie ihre Artikel geschrieben haben. Zumindest der konservativen Presse war das recht egal. Aber auch der Spiegel hat sowas geschrieben. Und auch die Story, dass Puma Schützenpanzer stillgelegt wurden, weil die ASU Plakette abgelaufen sei, war schlicht erlogen. Puma und Leopard 2 sind von der Abgasuntersuchung befreit.

      Achso: KMW und Rheinmetall haben sich natürlich schon viel Geld bezahlen lassen, diese CO-Detektoren und alles andere, was noch so gefehlt hat, nachzurüsten. Ich glaube, die CO Detektoren speziell waren so 10 Millionen. Jetzt ist der Puma aber so weit auch relativ fertig und gut, ich glaube der Konstruktionsstand S1 macht keine wirklichen Probleme mehr. Funfact: die Briten mit ihrem Ajax-Schützenpanzer haben genau dieselbe Story.


      Ich hoffe, ich hab das halbwegs verständlich dargelegt, es ist leider echt viel geworden…

      • TiKa444@feddit.de
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        1 year ago

        Einen Aktenschrank tief im Keller von irgend ner Behörde kann man nicht so leicht hacken, stehlen, löschen oder manipulieren. Solange nicht alle Archive niedergebrannt werden, kann man jederzeit alles nachverfolgen.

        Wobei das an den Prozessen hängt. Versteh mich nicht falsch. Das Beschaffungsamt steht international sicher nicht allein mit seinem Beharren auf Papier (und national schon gar nicht), aber ein vernünftiges Konzept macht digitale Datenablage mindestens so sicher wie Papierablage. Wenn du dann noch vernünftige IT-Strukturen hast und deine Mitarbeiter geschult sind, dann wird das Abbrennen eines Archivs schnell wahrscheinlicher als ein Hack oder ein Systemfehler der Daten vernichtet. Aber das ist kein rein deutsches und kein Beschaffungsamtspezifisches Problem.

        Aber danke für den Kommentar an sich. War sehr interessant zu lesen. Auch interessant ist, dass meine Eindrücke von konservativen Ministern auch zumindest bei deiner Stelle in der Behörde selbst so ankommen

      • redballooon@lemm.ee
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        1 year ago

        Danke dass du dir die Zeit genommen hast das aufzuschreiben. Spannende Stories. Muss frustrierend sein die insides zu kennen und dann die Presse Berichte zu lesen. Gibts denn keine investigativ Journalisten die gerne auch mal die Dummheit der Verteidigungsminister grillen?

        • SomeDude@feddit.deOP
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          1 year ago

          Kein Problem, mach ich gerne. Wer meckert nicht gerne über seinen Job :p

          Oh doch, gibt genug Journalisten die das alles gründlich recherchieren und aufdecken. Die zitiere ich ja alle, ohne die wäre ich ziemlich aufgeschmissen (kann ja keine internen Sachen weitergeben).

          Das Problem ist (geee das hab ich heute oft geschrieben), dass sachliche, differenzierte Artikel weniger Klicks und Geld bringen als Clickbait und Wut. Und nichts ist einfacher, als “dem Staat” und “der Bürokratie” die Schuld zu geben. Da muss man nämlich niemanden genau etwas vorwerfen.

          Und damit kann dann auch z.B. ein größeres Nachrichtenportal mit einer gewissen politischen Einstellung Verteidigungsminister*Innen mit einer anderen politischen Einstellung angreifen, schwächen, und evtl sogar aus dem Amt drängen.